© W. Schwarz

"Stairway to Heaven"

Durchquerung der Berninagruppe (mit Biancograt) (08.-11.08.24)

16.08.2024

Rockfans denken bei dieser Überschrift zuerst an den Klassiker von Led Zeppelin und dies zu Recht, denn in gewisser Weise verkörpert dieser epische Song mit seiner majestätischen Ruhe aber auch seiner dröhnenden Kraft die Essenz des Bergsteigens: Ein ruhig-getragenes Vorspiel, das mit kurzen Spitzen zunehmend an Spannung gewinnt - bis zum triumphalen Höhepunkt.

Tourenbericht von: Wolfhard Schwarz

 

Teilnehmer: Markus Kärle, Wolfhard Schwarz

Mein Ziel war die Berninagruppe in den Bündner Alpen, die eine der fantastischsten Bergwelten bietet, die wir in den Alpen (noch) finden können. Der Hauptkamm ist nur gut zehn Kilometer lang und genau in der Mitte befindet sich mit dem Piz Bernina der höchste Gipfel der Gruppe und gleichzeitig der höchste Punkt der Ostalpen. Der Aufstieg zum Piz Bernina über die „Himmelsleiter“ des Biancograts ist unter Bergsteigern schon lange Kult: Ein geschwungener weißer Firngrat mit bis zu 45° Steilheit, die Ideallinie für eine Hochtour durch diesen „Festsaal der Alpen“.

Tag 1:

Meine Tour begann am frühen Nachmittag am Parkplatz der Diavolezza-Bahn, knapp 10 km hinter Pontresina. Zunächst ging es mit dem Zug zur Bahnstation Morteratsch. Hier beginnt der Zustieg zur Bovalhütte (2.494 m) über einen wunderschönen Wanderweg. Man steigt zunächst durch dichten Bergwald auf, der allmählich in alpine Matten übergeht und erreicht nach ca. zwei Stunden und 600 hm die Hütte. Hier, am Fuße des Piz Morteratsch (3.751 m), bezogen wir Quartier. Der Blick von der Hüttenterrasse über die Gletscherwelt der Bernina war traumhaft und ließ uns die Aufgabe für den nächsten Tag bereits einsehen.

Tag 2:

Nach spärlichem „Thermo-Frühstück“ um 4:00 Uhr machten wir uns um 4:30 Uhr auf.  Während die Teilnehmer*innen diverser Wandergruppen noch selig schlummerten, stiegen wir im Schein unserer Stirnlampen den steilen Hang des Piz Morteratsch hinauf. Der Schotter wich immer mehr den Felsen und wir erreichten in leichter Kletterei die  Bovalscharte. Von hier aus ging es über den Gletscher und eine steile Flanke (40°) hinauf zum Rücken des Piz Morteratsch. Dem Rücken folgend, erreichen wir bei genialer Aussicht den Gipfel. Was für ein Panorama, eine atemberaubende Aussicht auf das Bernina-Massiv! Das Gefühl der Erhabenheit auf diesem Gipfel erinnerte an die ersten, sanften Gitarrenklänge von "Stairway to Heaven", die einen auf eine Reise ins Unbekannte mitnehmen.

 

Die Abstiegsroute führte uns ein Stück Richtung Bovalscharte zurück und verlief dann Richtung Westen über die Reste des Tschierva-Gletschers und Moränenschotter zur gemütlichen Tschierva-Hütte (2.835 m). Bei guter Aussicht genossen wir bei Radler und Rösti unseren ersten Gipfelerfolg. Die Zeit bis zum Abendessen diente dann der Erholung bzw. der Vorbereitung für den nächsten Tag.

Tag 3:

Der nächste Morgen brach noch früher an. Frühstück um 3:00 Uhr, denn der Aufstieg über den Biancograt auf den Piz Bernina (4.049 m) stand bevor, 1.600 hm waren zu bewältigen. Dieser Abschnitt der Tour ist berüchtigt für seine anspruchsvollen Kletterpassagen und seine exponierte Lage. Der Biancograt ist immer noch einer der schönsten Firngrate der Alpen und das Herzstück dieser Tour. Das Klettern auf dem schmalen Grat erfordert stets höchste Konzentration und setzt technisches Können voraus. Jeder Schritt auf dem messerscharfen Grat scheint weiter in den Himmel zu führen - ein majestätischer Berg verlangt nach einer majestätischen Route!

Von der Hütte aus stiegen wir im Dunkeln hinauf zur Prievlusascharte auf 3.430 m. Kletterei bis zum III. Grad forderte uns, bevor wir die „Himmelsleiter“ des Biancogrates erreichten. Wir stiegen auf der immer steiler werdenden Gratschneide unter Einsatz unseres Pickels und der Frontalzacken unserer Steigeisen mit brennenden Waden dem Himmel entgegen, bis hinauf zum Piz Bianco auf 3.995 m.

Nun ging es weiter über den Felsgrat hinab in die Berninascharte, ein weiterer Gratturm war im III. Grad zu überklettern und an einigen Stellen seilten wir uns ab. Über die letzten Felsen stiegen wir in ausgesetzter Kletterei auf den Gipfel. Endlich oben! Der höchste Punkt der Ostalpen war erreicht, was für ein genialer Moment nach all den Strapazen. Ein Gefühl von Triumph und Demut stellte sich ein. Die Welt lag uns zu Füßen, und ein intensives Gefühl der Freiheit erinnerte mich an den kraftvollen Höhepunkt von Led Zeppelins Meisterwerk.

Der Abstieg erfolgte über den Spallagrat. Eine Felsstufe wurde abkletternd bzw. abseilend überwunden, weiter ging es über Firn und Eis hinab zur Hütte. Müde, aber glücklich, waren wir nach 10 Stunden an unserem Ziel, dem Refugio Marco e Rosa (3.609 m). Mit Radler hielten wir uns jetzt nicht mehr auf sondern stießen direkt mit ein, zwei Bier auf unseren Gipfelerfolg an und ruhten uns bis zum Abendessen aus.

Tag 4:

Am letzten Tourentag stand der Piz Palü (3.900 m) auf dem Programm, ein weiterer ikonischer Gipfel der Berninagruppe. Wir starteten im Morgengrauen um 5:30 Uhr. Der Aufstieg zum Piz Palü ist zwar technisch weniger anspruchsvoll als der Biancograt, jedoch verlangte uns die Müdigkeit der vorangegangenen Tage einiges ab.

Über die berühmte Bellavista-Terrasse durch ein Gewirr aus Spalten ging es hinüber zum Westgipfel des Piz Palü, dem Piz Spinas, über dessen Grat erreichten wir den Westgipfel in leichter Kletterei. Weiter ging es über den Firngrat und Schneerücken hinüber zum Hauptgipfel. Die Aussicht war wieder atemberaubend.

Der weitere Weg zum Ostgipfel wurde noch einmal zu einem uneingeschränkten Fest der Sinne. Weit auskragende Wechten, eine schmale Firnschneide – wie eine Hängebrücke. Wir genossen diesen besonderen und letzten Gipfelmoment unserer Tour. Dann stiegen wir über zum Teil steile Firnhänge und große Spalten durch das Spaltenlabyrinth des Persgletschers hinab zur Diavolezza-Bergstation. Dort angekommen genossen wir auf der Sonnenterrasse ein letzte Mals den Ausblick auf den Piz Palü und die umliegende Bergwelt, der zu einem Rückblick auf die gesamte Tour wurde. Gedanken überwältigten uns und schufen bleibende Erinnerungen, bevor es mit der Bahn zurück ins Tal ging.

Fazit:

Es gibt Momente, die einem die Erhabenheit und die geballte Energie der Berge fühlen lassen. Meine Tour durch die Berninagruppe war genau so ein Erlebnis und glich einer Reise von der stillen Kontemplation bis zum triumphalen Höhepunkt. Jeder Gipfel war wie ein neuer Abschnitt in Led Zeppelins "Stairway to Heaven". Am Ende der Tour fühlte ich mich, als hätte ich tatsächlich eine Treppe in den Himmel erklommen und – um einen weiteren Songtitel von Led Zeppelin zu zitieren: „Ramble On!“